Freitag, 28. Oktober 2011

Interview mit Chris Haring




Chris Haring wurde 1971 in Schattendorf im Burgenland geboren und zählt mittlerweile zu den wichtigsten österreichischen Choreografen. 2007 bekam er auf der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen. Bei einem Besuch der Proben zu dem Stück „Wellness“, der ersten Folge einer neuen Performance-Serie mit dem paradiesischen Namen „The Perfect Garden“ , das er im Sommer bei Impulstanz #28 im Palmenhaus des Burggartens uraufführte, gibt er Einblicke in seine Arbeit mit der Company Liquid Loft.


Die neue Arbeit „Wellness - The Perfect Garden“ setzt sich mit dem Thema Wellness auseinander. Wie kam es zu dem Interesse an diesem aktuellen Gesundheitshype?

Chris Haring: Ian, einer der Tänzer auf der Bühne, erzählt zu Beginn der Performance: „We deserve it. Ich bin mir das wert, ich gönne mir das jetzt. Ich muss das jetzt genießen. Ich muss dieses Gefühl festhalten.“ Sobald man es aber hat, zerfällt es auch wieder. So bin ich auf dieses Wellnessthema gekommen. Wellness ist sozusagen das Grundthema, das Setting. Ich finde ja, dieses Wort Wellness, wenn du es oft wiederholst, fängt es zu nesseln an. Für mich ist das so ein Ding, das ist immer mehr gewachsen und gewachsen. Ich bin im Burgenland aufgewachsen und da gibt es ja überall diese Thermen. Man geht da hin und fühlt sich auf Befehl wohl. In kürzester Zeit schwitzt man sich in der Sauna den Alkohol der ganzen Woche raus, geht anschliessend ein paar Runden Schwimmen, wird danach passiv bewegt und am Schluss gibt´s dann ein Schnitzel, das nicht in Schmalz sondern im Bio-Öl gebraten ist und am Montagmorgen ist man dann wieder fit.

Grün, der Garten, die Natur als Wohlfühlelement?

Die Ursprungsidee des Gartens ist ja schon seit Jahrtausenden ein Thema in der Kunst. Der Mensch, der die Natur einfasst und so ein bisschen Gott spielt. Interessant war in diesem Prozess das Kennenlernen des bildenden Künstlers Michel Blazy, der in sehr langen Zeiträumen denkt. Wenn er mit seinen organischen Materialien arbeitet, dann braucht das immer wahnsinnig lange bis etwas entsteht. Und wenn es dann entstanden ist, vergeht es auch wieder sehr rasch. Er findet die Schönheit in Teilen, die wieder zergehen und er sucht dabei auch immer sehr schöne Farben aus. Tanz ist ja auch vergänglich, in dem Moment, wo du an Sequenzen arbeitest, ist es auch schon wieder vorbei. Wieder Proben das ganze Jahr tagein, tagaus und was dann überbleibt ist nur ein Bruchteil dessen, was im Endeffekt gezeigt oder aufgenommen wird und einem Publikum gezeigt wird und so in den Köpfen in Erinnerung bleibt. Die Bewegung, die im Proberaum verloren geht ist weg. Michel´s Installationen entstehen zum Teil über einen Zeitraum von 10 Jahren.

„Wellness_ The Perfect Garden“ ist als Fortsetzungs-Stück angelegt?

Dadurch, dass so viel Material da ist und neue Leute dabei sind - insgesamt sieben, mit ganz unterschiedlichen Hintergründen - fände ich es schade, wenn wir das in einem Stück verbraten. Es sind weitere Schritte, sozusagen weitere Gärten die wir anlegen wollen, geplant. Die Erstaufführung findet im Glashaus (Palmenhaus im Wiener Burggarten) statt, das nächste auf der Bühne und dann wird in der Stadt, im öffentlichen Raum inszeniert. Wir suchen unterschiedlichste Locations, wo wir diese „Gärten“ wachsen lassen können. Auf der Bühne wird sicher anderes Material eingesetzt werden als im Glashaus, im Freiraum hast du dann die Umwelteinflüsse, der Raum nicht so geschützt, hast wieder einen ganz anderen Rahmen.

Nochmal zurück zu Michel Blazy, wie bringt er sich im neuen Stück „Wellness – The Perfect Garden“ ein?

Michel ist wirklich super, ein extrem herzlicher Mensch. Er kommt für ein paar Tage aus Paris in unseren Proberaum in Wien und dann wird hier ordentlich gebastelt. Er beobachtet die Proben und plötzlich entstehen im Hof Skulpturen aus Materialien wie Kartoffelstärke - in riesigen Mengen wird hier herumgepanscht. Er kommt dann rein und sagt: „Hey Chris, was sagst du dazu?“ Die Kommunikation funktioniert super, obwohl ich nicht Französisch spreche und er nur wenig Englisch. Er schaut auch bei den Proben zu und gibt Dinge dazu und greift auch in das emotionale Geschehen auf der Bühne ein. Er gibt nicht nur Kommentare dazu ab, in welche Richtung sich, seiner Meinung nach, gewisse Choreografien weiterentwickeln sollten. Er hat dann auch extrem unterschiedliche Materialien gebracht. Wir haben ja durch das Palmenhaus als Aufführungsort schon sehr viel „Garten“ als Vorgabe. Da muss man quasi dagegenarbeiten, eher mit anderen Materialien reingehen und trotzdem noch die Assoziation dazu behalten. Das hat Michel sehr schnell kapiert, er ist da sehr feinfühlig. Er hat in Nizza studiert. Als ich ihn einmal fragte, warum er nicht als Bildhauer arbeitet hat er mir erzählt, dass immer, wenn er früher probiert hat, solide, massive Objekte zu machen, die entweder zerbrochen oder auseinandergefallensind. Er hat sich daraufhin auf temporäre Objekte verlegt und dabei ganz neue Arbeitsweisen entdeckt. Er arbeitet mit Tieren, er lenkt sie mittels Lockstoffen, sodass sie Spuren hinterlassen, die für ihn wiederum Kunst sind. Zum Beispiel mit Schnecken. Als ich ihn einmal besuchte, hatte er ein riesiges Bild aus Schokolade herumliegen. Er hatte verschiedene Schokoladen zusammengemischt und ich dachte, es geht um die verschiedenen Farbverhältnisse. Da gab es hellere und dunklere Flecken. Er hat mal mehr mal weniger Zucker zugegeben und zum Teil auch mit Uhu gearbeitet. Er hat das dann liegengelassen bis Mäuse und Ratten gekommen sind und die Schokolade aufgefressen haben. Die haben dann in diese Sperrholzplatte so eine Art Holzschnitt reingeknabbert. Dort wo mehr Schokolade war ist tiefer geknabbert und dort, wo Uhu ist wird nicht hingelangt. Nach 2 Wochen ist das Fress-Bild dann fertig. Er läßt sozusagen in Paris seine Hausratten für sich arbeiten. Oder er filmt seinen Hund, wie er „sein Geschäft“ verrichtet. Er filmt seinen Pudel das ganze Jahr über dabei, immer mit der gleichen Kameraeinstellung, wie er da seine Spuren hinterläßt.

Jetzt nochmal zum Thema Arbeiten mit und im Raum bei deinen Projekten...

Im Endeffekt ist das zentrale Thema immer der Körper. Jeder Choreografie versucht den Körper in ein spezielles Licht zu rücken. Das Publikum sollte immer wieder einen anderen Blick darauf bekommen. Akustisch kann man da sehr fein arbeiten, es wird eben nicht visuell eingegriffen, du hörst und spürst nur. Wenn wir zum Beispiel mit diesem Dubbing arbeiten, was wir sehr lange gemacht haben und du zum Beispiel mit meiner Stimme weitersprichst, dann bist du plötzlich eine komplett andere Person. Der Körper transformiert sich scheinbar, wie Tanz - in dir und um dich herum. Akustisch ist auch das Environment sehr schnell zu ändern. Du bist in einem Moment in einem kleinen Raum und im nächsten Moment plötzlich im Universum. Ich liebe Tanz und ich möchte Tanz sehen, nur ich brauche eben einen Grund, warum getanzt wird. Die meiste Zeit sind wir sozusagen auf der Suche nach dem Grund, warum wir versuchen, etwas abstrakt mit dem Körper zu erklären. Ich brauche den intellektuellen Input. Wenn der dann in die Performance gut einfließt, wird das Stück sehr tänzerisch. Wenn das nicht der Fall ist, dann stehen die Personen nur herum oder liegen am Boden (lacht). Wenn du professionell mit Choreografie arbeitest musst du reduzieren, es gibt ja überall Bewegung. Du musst reduzieren – wegnehmen, wegnehmen, wegnehmen - und darfst keine Bewegung zu viel bringen. Man vereinfacht, sucht nach Grundelementen.

INTERVIEW: Michael-Franz Woels
FOTO: Magdalena Blaszczuk

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